Im Jahr 2024 stehen wichtige Wahlen an, die auf das politische Geschehen in Deutschland und Europa großen Einfluss haben werden. Im September die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, am 9. Juni bereits die Wahl zum Europäischen Parlament. Bei der Europawahl dürfen erstmals auch Jugendliche ab 16 Jahren wählen. Höchste Zeit, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu gehen. Wir haben über aktuelle politische Themen gesprochen mit Lena Hailer (stellvertretende Vorsitzende des Bezirksjugendwerks der AWO Oberbayern) und Kevin Goj (Beisitzer des Jugendwerks).
Infolge des Artikels von Correctiv zeigen Millionen Menschen Flagge gegen Rechtsextremismus und gehen auf die Straße. Was denkt ihr darüber?
Lena: Es ist äußerst wichtig, Rechtsextremismus nicht unkommentiert stehenzulassen. Bekommt rechtes Gedankengut keine Gegenrede, dann fühlen sich diejenigen, die es äußern, sofort im Recht. Nur durch aktives
Einschreiten, durch aktives Signalisieren, dass man an-derer Meinung ist und rechte Äußerungen nicht tolerieren kann, zeigen wir, dass solche Äußerungen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Schön, dass AWO und Jugendwerke bundesweit auf die Straße gegangen sind oder gar Aufrufe unterstützt haben – in Oberbayern etwa in Pfaffenhofen, München und Erding.
Kevin: Ich fand die Demos ein wichtiges Signal. Sie waren ein starkes und großes Ausrufezeichen! Entscheidend wird sein, es nicht bei Demos zu belassen, sondern weiterhin laut und aktiv zu sein. Sei es auf Veranstaltungen, in Vereinen oder im Alltag.
Lena: Was auch nicht vergessen werden sollte – auch Rechtsextremismus hat seinen Grund. Warum sind Menschen so unzufrieden, was veranlasst sie zu diesem rechten Denken? Dem gilt es auf den Grund zu gehen, den Menschen mit ihren Sorgen und Nöten Gehör zu
schenken. Wie kann man ihr Leben verändern, sodass sich vielleicht auch ihre Einstellung anderen gegenüber ändert?
Die Europawahlen stehen an: Was gilt es, über die nationalen Parlamente hinaus, vereint anzupacken?
Lena: Am allerwichtigsten ist für mich das Thema Umweltschutz und der Kampf gegen die Klimakatastrophe. Wirtschaft, Wachstum, Außenpolitik – schaffen wir es nicht, den Klimawandel aufzuhalten sind alle anderen (politischen) Themen hinfällig. Es muss endlich mit allen nur erdenklichen Kräften an einem Strang gezogen werden, um die Erwärmung zu begrenzen, das Arten-sterben zu stoppen und uns selbst und unseren Mitmenschen, wie auch allen anderen Erdbewohnern die Lebensgrundlage zu sichern! Dafür braucht es nicht nur den Einsatz und Willen des Einzelnen, sondern Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene. Die Zeit der Kompromisse zwischen Umweltschutz und Wirtschaftswachstum muss vorbei sein, denn sonst werden wir von Letzterem bald nicht mehr profitieren.
Was verbindet ihr mit Europa und der EU?
Kevin: In erster Linie denke ich an Frieden, Wirtschaft und Freiheit. All diese Dinge spielen für den relativ guten Lebensstandard in der EU eine entscheidende Rolle. Über so viele Länder hinweg sicher zu reisen, zu entdecken und zu leben, findet man kein zweites Mal auf dieser Welt. Was ich mir dennoch wünsche, ist, dass sich die EU gerade mit Blick auf diese Aspekte um mehr Gemeinschaft kümmern würde. Mir fehlt es persönlich an einem großen WIR-Gefühl innerhalb der EU. Hierfür wären noch größere Projekteförderungen über Erasmus + Jugend seitens der EU eine Möglichkeit, auch im Zusammenspiel mit Jugendverbänden.
Lena: Mit der EU und Europa verbinde ich fast nur Positives. Um die Ausnahme vorwegzunehmen: Die Richtlinien, die anhand von Größe und Form über den Verkauf von Obst und Gemüse entscheiden, führen meiner Meinung nach dazu, dass Nahrungsmittel rein aufgrund optischer Fehler aussortiert werden – das muss wirklich nicht sein. Denke ich jedoch an die EU, denke ich vor allem: Liegt es nicht in der Natur des Menschen zusammenzuarbeiten, sich gegenseitig zu unterstützen und sich zusammenzuschließen? Oft wird über „Die da in Brüssel“ geschimpft, doch dabei wird vergessen, wie viele Vorteile die EU jedem*jeder Einzelnen bringt. Ich denke da an das unkomplizierte Reisen, die Währungsgleichheit, vereinfachten Handel oder die Jobsuche im Ausland, aber ebenso an Austauschprogramme oder die Zusammenarbeit in der Entwicklungshilfe.
Bei der Europawahl bekommen all diejenigen Menschen Gelegenheit zu wählen, denen in der Vergangenheit allenfalls die Möglichkeit blieb, die U18-Wahllokale des bayerischen Jugendrings aufzusuchen. Was denkt ihr über diese Neuerung?
Kevin: Jungen Menschen eine Stimme zu geben, finde ich absolut richtig. Ich persönlich denke jedoch, dass den meisten Menschen, selbst den älteren, die Funktionsweise der EU-Organe eher fremd ist. Es reicht meiner Meinung nach nicht aus, den jungen Menschen Mitbe-stimmung in Form von Wahlen zu ermöglichen, sondern diese auch entsprechend aufzuklären. Wozu sollen Menschen wählen gehen, wenn ihnen die Auswirkungen nicht bewusst sind? Das wäre sicherlich auch für uns als Verband eine Chance, Projekte ins Leben zu rufen, um Jugendlichen EU-Politiken näherzubringen. Auf Bundesebene fände ich eine Anpassung des Wahlalters deutlich sinnvoller, da hier bereits ein viel größeres Verständnis vorhanden und das Gefühl des Mitwirkens stärker ausgeprägt ist.
Glaubst du, dass die politischen Bildungsangebote (ob im schulischen- oder außerschulischen Bereich) Europa und die EU ausreichend auf der Agenda haben? Was könnte verbessert werden?
Lena: Wenn ich mich an meine eigene Schulzeit erinnere, so waren Europa und die EU genau ein viertel Schuljahr Thema, in Sozialkunde, einem Fach, das wir eine Stunde pro Woche hatten. Meist scheint man etwas über die Geschichte und Entwicklung der EU zu lernen, angefangen bei der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Aber die Vorteile und Problematiken, die die EU mit sich bringt, werden kaum diskutiert. Was die EU auf nationaler sowie alltäglicher Ebene verändert hat, das könnte stärker in den Unterricht einfließen. Denn nur so wird man sich bewusst, wie viel EU man in Europa eigentlich täglich erlebt. Nur so wird Politik greifbar.
Glaubt ihr, dass Jugendverbandsarbeit Ressentiments und Vorurteile abbauen und gesellschaftliche Spaltungen (europaweit) überwinden kann?
Kevin: Ehrenamt kann Vorurteile und Abneigungen abbauen, jedoch sicherlich nur in einem kleinen Rahmen. Wichtig ist dabei die Heterogenität einer Gruppe, in der man sich engagiert. Theoretische Projekte haben sicherlich ihre Berechtigung. Dennoch sehe ich das praktische Zusammenarbeiten an gemeinsamen Projekten mit Jugendlichen mit unterschiedlichen Hintergründen als viel wichtiger an, um sich zu öffnen, um ein Verständnis für ein tolerantes Miteinander zu entwickeln. Es geht auch darum, ein Vorbild für andere zu sein und das nach außen zu tragen.
Liebe Lena, lieber Kevin, vielen Dank für das Gespräch. Und vielen Dank für Euer Engagement im Jugendwerk.
Das Gespräch führte Maurizio Scelsi, Jugendwerkskoordinator des AWO-Bezirksverbands Oberbayern
Foto: Kreisjugendwerk Pfaffenhofen
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